Was ist Schuld?

Versteht man darunter ein Unrecht, einen Fehler oder einen Verstoß gegen eine sittliche Norm? Dann ist Schuld ein Denkmuster, dass aus unserem eigenen Denken und unserem Weltbild entspringt. Es hat dann nur innerhalb unseres eigenen Werte-Bezugssystems Gültigkeit. Als Menschheit haben wir uns bis dato nicht auf einen gemeinsamen und eindeutigen ethisch-moralischen Nenner, was objektiv richtig oder falsch ist, geeinigt. Richtig d.h. dem verbindlichen Wertesystem entsprechend, falsch d.h. dieser Norm eben nicht entsprechend. Es sieht gerade auch nicht so aus, als würden wir das in naher Zukunft tun.

Es macht für jeden Einzelnen meiner Meinung nach sehr viel Sinn für sich einen moralischen Maßstab festzulegen. Aber den eigenen Maßstab anderen überzustülpen oder aufzuzwingen, wird unweigerlich Widerstand hervorrufen. Und sei es nur für einen Moment. Von einer „Schuld ganz allgemeinen“ zu sprechen, macht wenig Sinn.

Die Frage nach dem Schuldigen in einem Konflikt bewirkt eine Lähmung auf der Suche nach Lösung. Solange bis sich die Beteiligten auf ein gemeinsames Bezugssystem geeinigt haben. Das wiederum ermöglicht EigenverANTWORTung, statt Gespräche, die sich fruchtlos im Kreise drehen.

Ein Beispiel:

A geht aus dem Haus ohne zu sagen, wann er zurückkommt. Partner B nennt A bei seiner Rückkehr „einen rücksichtslosen Egoisten, der nur an sich selbst denkt“ worauf B sichtlich gekränkt A als „eifersüchtigen Klammerer“ bezeichnet. Und schon ist ein Streit im Gang.

Fragen wir stattdessen lieber, welche Sehnsucht B hat, die hinter dem Urteil „rücksichtsloser Egoist“ verborgen steckt. Dann entdecken wir möglicherweise, dass es B um Klarheit, Wertschätzung und Verbindung geht. Während bei A mit dem Ausdruck „eifersüchtiger Klammerer“ auch etwas zu verstehen gibt. Nämlich, dass ihm Freiheit und Spontanität sehr wichtig ist. Nachdem beide die Bedürfnisse voneinander gehört haben, können sie einen Weg suchen, der allen Bedürfnissen gerecht wird. Besser als sich im Nachhinein „an die Kehle zu gehen“.

Vielleicht fragt A das nächste Mal spontan, ob B mitkommen mag. Und B kann bei sich nachspüren, ob er lieber daheim bleibt oder nicht. Und sollte A vergessen, dann hat B vielleicht von sich aus den Mut, nachzufragen und so für sein Bedürfnis nach Klarheit zu sorgen.