Diese Aufforderung ist mitunter sehr herausfordernd. Zum Beispiel dann, wenn mein Nächster mir gerade gehörig auf den Wecker geht, z.B. weil er sich anmaßt, über mich zu bestimmen. Wie mach‘ ich das also: liebe deinen Nächsten?

Eine Antwort, die ich beim Durchforsten der Schriften der Weltreligionen gefunden habe, ist den anderen als ebenbürtig, als Geschöpf Gottes gleich mir zu sehen. Bloß, was tun, wenn ich den anderen gerade nicht als Geschöpf Gottes sehen mag, weil ich mich gerade so über ihn ärgere?

Was mache ich also?

Da kommt die GFK ins Spiel. Sie hilft mir, einerseits zu erkennen, dass mein Urteil über den anderen meinem richtig/falsch-Denken entspringt. Andererseits hilft mir die GFK, meinen Ärger zu verwandeln.

Wenn ich lange genug mein Herz befrage, was mir an der Situation wichtig ist, merke ich irgendwann, das ich eigentlich verwirrt bin und gar keine Verbindung zu der anderen Person habe. Ich geh lieber in meinen Kopf und klammere mich an mein urteilendes Denken, statt meine Unsicherheit und auch meine Einsamkeit zu spüren. Das zu spüren, ist schließlich nicht so angenehm.

Wie ich in mich hinein spüre, merke ich plötzlich, wie traurig ich bin und dass ich mich nach Klarheit und Unterstützung sehne. Nach einer weiteren Weile des Hinspürens greife ich zum Telefon. Zuerst hol ich mir die Unterstützung, die ich brauche. Ich bitte jemanden, mir mit großen Giraffenohren zuzuhören…

Und dann…

Sobald ich genug Verständnis, Empathie und Annahme erfahren habe, kann ich mich der Person zuwenden, die meinen Ärger ausgelöst hat. Wie sich in dem nachfolgenden Gespräch herausstellte, hat sie gar nicht mitbekommen, wie sehr mich ihr Ausdruck getroffen hatte. Ihr Ausspruch, den ich zuvor als Anmaßung interpretiert hatte, war auf Ärger von ihrer Seite zurückzuführen. Sie hatte sich über etwas geärgert, das ich davor getan hatte. Verflixt, so kann es gehen!

Nachdem wir beide über das sprechen konnten, der hinter unserem jeweiligen Ärger stand, und von der jeweils anderen Person Verständnis erlebten, war plötzlich – o Wunder – Verbindung spürbar. Ich spürte unsere beiderseitige Menschlichkeit, Wärme und Liebe auf ganz natürliche Weise. Und wie mir vorkam, ging es der anderen Person ähnlich. So einfach war das.