Fühlen Sie sich manchmal schuldig? Ich fühle mich in letzter Zeit wieder etwas häufiger schuldig. Ich fühle mich z.B. schuldig, weil ich meiner Mutter nicht helfen kann, die im Krankenhaus liegt. Ich fühle mich auch schuldig, weil ich nicht mehr tue, als ich jetzt schon tue. Schuldig, wenn ich hinaus gehe und Spaß habe, statt sie zu besuchen.
Was sind Schuldgefühle eigentlich?
Diese sogenannten Schuld-„Gefühle“, das weiß ich, sind eigentlich keine Gefühle. Es sind Gedanken, besser gesagt Gedankenschleifen, Grübeleien, manchmal ein richtiges Gedankenkarussell: Ein „Sollte“-Karussell: Ich sollte ihr noch mehr helfen – obwohl ich das eigentlich gar nicht kann. Ich sollte nicht Spaß haben und es mir gut gehen lassen, wenn es ihr nicht gut geht.
Was ist mein Gefühl?
Wenn ich so in mich hinein spüre, nehme ich zuerst Traurigkeit war, dass ich nicht mehr helfen kann. Angst vor dem nahenden Abschied. Sorge, wie ich gut mit meinen Ressourcen haushalten kann. Interessanterweise keine Ohnmacht.
Ich spüre auch so etwas wie Dauerstress, Erschöpfung, weil meine Kräfte ziemlich begrenzt sind. Die Erschöpfung ist am größten. Es ist eine permanente Anspannung.
Es tut gut, sich meinen Gefühlen zu widmen. Sofort treten die Schuldgedanken in den Hintergrund.
Was sind meine Bedürfnisse?
Diese Gefühle und die Schuldgedanken gehen mit scheinbar widersprechenden Bedürfnissen einher. Klar, ich möchte, dass es meiner Mutter gut geht. Ich möchte sie unterstützen, soweit es in meiner Macht steht. Und gleichzeitig möchte ich Zeit für mich haben, für all das, was mir wichtig ist und auch Zeit um mich zu erholen. Ich brauche Entspannung, um Freude an meinem Tun zu haben. Wirkliche Entspannung, frei von irgendwelchen Erwartungen an mich.
Mir fällt auf, dass es mir schwer fällt, meine Grenzen zu erkennen. Weil ich oft über meine Grenzen gegangen bin und leider noch immer gehe.
Warum gehe ich immer wieder über meine Grenzen? Hm. Weil ich ein „gutes Mädchen“ sein will? Weil ich mich nach Anerkennung sehne. Nach Liebe… Ich merke gerade, wie sehr mich das berührt.
Dass ich ausgerechnet von meiner Mutter nicht in dem Maß Liebe bekommen habe, wie ich sie gebraucht hätte, ist mein „Verhängnis“. Denn egal wieviel ich jetzt tue, diese Sehnsucht aus meiner Kindheit wird dadurch nicht kleiner.
Was kann ich tun?
Erstens, kann ich meine Schuldgedanken – nach einer kritischen Prüfung – als Warnung erkennen, dass ich bereits über meine Grenzen gegangen bin.
Zweitens kann ich überprüfen, welche Strategien ich gerade wähle, um mir meine Bedürfnisse zu erfüllen. Ob ich nicht gerade dabei bin, mich in einer Strategie zu verrennen, die mir meine Bedürfnisse nicht so erfüllt, wie ich es gerne hätte (z.B. in dem ich mir meine Erholungsphasen und Vergnügungen versage).
Drittens kann ich achtsam wahrnehmen, wie groß meine Sehnsucht nach Liebe und Anerkennung ist. Ich kann den Schmerz, der mit dieser Sehnsucht verbunden ist, liebevoll halten und mir etwas wirklich Gutes tun.
So kann ich meine Gefühle und Gedanken zum Ausdruck bringen, mich mit anderen in ähnlichen Situationen austauschen oder einen Blogbeitrag schreiben, so wie ich das soeben getan habe und dadurch Empathie und liebevolle Begleitung erfahren.
Viertens, kann ich mir bewusst machen, dass ich meiner Mutter ihren Schmerz nicht wegnehmen kann. Ich kann mir bewusst machen, dass das nicht meine Aufgabe oder Verantwortung ist. Ich kann – sofern ich für meine Bedürfnisse gut gesorgt habe – ihren Schmerz empathisch wahrnehmen und sie fragen, ob sie hören möchte, welche Wege ich gefunden habe, um mit meinem Schmerz umzugehen.
Wer sich mehr in das Thema „Schuld“ vertiefen möchte, dem lege ich das Buch „Wut, Schuld & Scham. Drei Seiten der gleichen Medaille„ von meiner Trainerkollegin Liv Larsson ans Herz. Es ist es wert, sich damit auseinander zu setzen!
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