Warum ist es für manche so schwer mit Kritik umzugehen?
Vielleicht weil der innere Kritiker so laut schreit? Kennt das jemand: Der innere Kritiker schreit. Vielleicht sogar bei etwas, das wir gut können. Und von dem wir auch wissen, dass wir es können. Weil wir es schon viele Male getan haben. Weil es uns auch schon viele Male zurückgemeldet wurde. Und trotzdem ist da eine Angst, es nicht gut genug zu können. Um wieviel größer ist die Angst bei Dingen, die wir nicht so gut können?

Nun, ich kenne das Gefühl nur zu gut. Es ist so zu sagen mein ständiger Begleiter. Mein Vater war ein notorischer Perfektionist und chronischer Kritiker – Uups, das ist ein verallgemeinerndes Urteil, ich weiß. Zurück zum Thema: Mein über alles geliebter Vater hat alles und jeden, und vor allem uns als Kinder, immer wieder bekrittelt. Und das alles unter der Flagge „Ich meines es ja nur gut mit euch!“ Immer ist dieses Gefühl da gewesen, es passt nicht, was ich mache und wie ich es mache. Ich habe wunderschöne Dinge angefertigt z. B. mit der Laubsäge. Jeder, der es schon probiert hat, weiß, wie schwierig, das ist.  Besonders für ein Kind. Wie wenig das wirklich perfekt machbar ist. Was ich gemacht habe, war auch nicht 100% perfekt – obwohl ich mir unglaublich viel Mühe gegeben habe. Und so war mein Vater eben wieder einmal unzufrieden und hat mein Werk, hat mich kritisiert. Auf diese Weise ist das „Nicht-genügen“ zu einer Art Lebensgefühl geworden.

Ich hätte da Anerkennung gebraucht für meine Bemühung. Irgendwann einmal, nur ein kleines bisschen Anerkennung – es blieb aus. Keine Freude, kein Stolz auf mich, nichts. Angeblich „weil ich mir sonst etwas eingebildet hätte, wie gut ich bin“

Nur um Missverständnisse zu vermeiden: ich fordere hier nicht auf, ein Kind einfach zu loben statt zu kritisieren, oder es mit Lob versuchen zu mehr Leistung anzuspornen. Sondern echte Anerkennung und Wertschätzung auszusprechen. Weil sich durch echte Anerkennung unser Bedürfnis nach „gesehen werden“, nach „aufrichtiger Rückmeldung“ erfüllt und danach, „zum Wohl anderer beizutragen“.

Was ist daran schlecht, wenn ein Kind glaubt, es ist gut in etwas? Was ist falsch, wenn ein Kind sich wertvoll fühlt, seine Stärken kennt und strahlen darf? Ich glaube, nichts ist falsch oder schlecht. Es geht nicht um richtig oder falsch, sondern das Bedürfnis zu erkennen.

Auch mein Vater hat sich hier ein Bedürfnis erfüllt: vielleicht die Sehnsucht den anderen (in dem Fall: mich) zu beschützen. Vor zukünftigem Versagen, dem Neid anderer …  vielleicht wollte er auch sich selbst beschützen: Vor der Angst vor der eigenen Größe, die nicht sein hat dürfen. So wie bei vielen aus der Generation meines Vaters.

Heute bin ich selbst Mutter und bemühe mich, das anders als mein Vater zu machen. Und wenn die Angst kommt, dann schau ich sie an. Genauso wie ich meinem inneren Kritiker zuhöre. In der Hoffnung, dass alle meine inneren Anteile irgendwann genug Zuwendung und Anerkennung bekommen. Und irgendwann anders zu meinem Leben beitragen, als durch Kritik. Dann kann ich ziemlich sicher auch mit Kritik anderer mit mehr Leichtigkeit und Eleganz umgehen.

Und ich habe die Hoffnung, dass meine Kinder nicht die gleiche innere Arbeit zu leisten haben wie ich.

Zum Abschluss noch einige Ausschnitte aus der Antrittsrede von Nelson Mandela als ehemaliger Staatspräsident Südafrikas 1994:

„Unsere tiefste Angst ist nicht, dass wir der Sache nicht gewachsen sind. Unsere tiefste Angst ist, dass wir unermesslich mächtig sind. Es ist unser Licht, das wir fürchten, nicht unsere Dunkelheit. …

Wenn du dich klein machst, dient das nicht der Welt. Es hat nichts mit Erleuchtung zu tun, wenn du dich  einkringelst, damit andere um dich herum sich nicht verunsichert zu fühlen brauchen. …

wenn wir unser Licht erstrahlen lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir uns von unserer Angst befreit haben, wird unsere Gegenwart ohne unser Zutun andere befreien.“